Die Wände in einigen Stadtteilen von Hamburg führen ein Eigenleben. Diesen Streetart-Gallery-Charakter mochte ich schon in Berlin. Auch, wenn es mir den Konflikt mit meiner damals 4jährigen Tochter einbrachte, warum sie bei uns zuhause nicht an die Wände malen könne, wenn es doch sogar die Erwachsenen „dürfen“. Unser Kompromiss war damals, dass sie eine eigene Wand bekam, um sich kreativ auszutoben. Einer der schönsten Sprüche, den uns das einbrachte, neben vielen bunten Bildern: Benutzt nicht so viel Klopapier, davon sterben Bäume!
Ich habe auf meinen Wegen meist ein waches Auge für kleine Kunstwerke oder Botschaften, die oft leicht verborgen, in Hauseingängen oder Einfahrten, nicht immer unbedingt auf Augenhöhe, auf ihre Entdeckung warten. Dann fühle ich mich angeregt oder nachdenklich. Manchmal verstanden. Ich lasse mich gerne überraschen. Natürlich hängt das auch an der Intention und Mühe, die ich hinter den Mikro-Werken erkenne. Nicht selten finde ich halb verfallene Wände und dreckige Ecken so durchaus veredelt mit eigenwillig gestalteten Impulsen. Im besten Fall reist der Gedanke dann noch eine Weile mit, wenn ich nach einem kurzen Fotostop auf dem Fahrrad weiterfahre.
Aber ich bin ja auch Befürworter des Professionellen Störens. Nicht des Störens um des Störens willen. Sondern, um produktiv zur Verbesserung beizutragen. In meiner Funktion als Coach erlebe ich oft, dass das Benennen des Dysfunktionalen innerhalb von Unternehmen als Angriff wahrgenommen und vorschnell abgewehrt wird. Der Benennende wird dann zur Störung und es entsteht ein verschobener Konflikt. Die Problemprojektion trifft dann die Person, anstatt das unterliegende Muster oder die zukunftsgerichtete Ableitung zu adressieren.
Dabei erlebe ich gerade diese engagierten „Störstimmen“ (innerhalb eines Systems) als Potential für echte Weiterentwicklung, organisch aus dem Inneren heraus. Echte Prozesse brauchen echte Resonanz und Reibung. Oft erlebe ich diese Mitarbeiter, die den Mut aufbringen, auch unangenehme Dinge anzusprechen, als sehr verbunden und engagiert. Für und mit der Thematik, dem Projekt, dem Team oder Unternehmen.
Dabei erscheint es mir weniger wichtig, dass diese lokalen Experten immer den richtigen Ton finden. Viel wichtiger finde ich, eine Kommunikationskultur zu stärken, in der diese Stimmen Raum bekommen und offener Austausch angeregt und gefördert wird. Als Kommunikationstrainerin liegt es mir am Herzen, mehr Leichtigkeit in professionelle Kommunikation zu bringen, trotz thematischer Ernsthaftigkeit. Und damit mehr Selbstverständlichkeit in eine allgemeine Diskurs-Fähigkeit. Ich sehe dringenden Nachholbedarf, eine produktive Argumentationskultur ebenso zu pflegen wie die Qualität des Zuhörens.
Und gerade mit zuletzt Genanntem beginnt eigentlich erst jedes gute Gespräch. Und jede sinnvolle Diskussion.
Wann hast Du zuletzt produktiv gestört?
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